Texte (Auswahl)
Geradezu brachial kracht eine graue Fläche in einen zartgelb getönten Bildraum. Das perspektivisch verzerrte Rechteck, aufgehängt an einem blauen Klebeband an der oberen Bildkante, blutet am unteren Rand hellrot aus. Und auch an den scharf begrenzten seitlichen Rändern sind Spuren von Rot und Blau zu erkennen. Aber mit schnellen, waagerechten Pinselstrichen hat die Malerin eine – wie wir ahnen – vormals lebendige Farbfläche grau verschlossen. Dicht gemacht. Das Bild ist ein Schock. Bestürzend in seiner formalen Einfachheit und emotionalen Kraft. Der „Rolladen“, wie Angelika Selma Alles dieses Bild für sich nennt, berührt existenzielle Fragen. Das spüren wir. Ein Gefühl des Ausgesperrtseins drängt sich auf, auch eines der Einsamkeit und Verletzung, auch eines der Wut. Beunruhigende, starke Gefühle, irritierend still und bedacht in Form gefasst. Der Betrachter kann sich der Wucht dieses Bildes nicht entziehen. Aber gerade weil hier nicht in expressivem Rausch Subjektivität vorgeführt wird, sondern das Erschreckende in fast minimalistischer Strenge auftritt, kann man sich auch der Wucht seiner eigenen Gefühle nicht entziehen. Nicht das Bild schreit, sondern eine Erinnerung, eine Assoziation.
Angelika Selma Alles besitzt die außergewöhnliche Fähigkeit, Beobachtungen, Stimmungen, Gedanken und Empfindungen eine allgemeingültige Form zu geben ohne sie zu verallgemeinern. Das heißt ohne sie abzuschleifen, abzustumpfen. Wie gelingt ihr das? Eines ihrer wesentlichen Mittel ist die Aufrechterhaltung von Mehrdeutigkeit. Und ich habe beobachten können, wie sehr sie darum ringt, den Absolutheitsanspruch, den jedes Bild im Laufe seines Entstehens anstrebt, zu brechen. Immer dann, wenn etwas voll, rund, harmonisch, endgültig werden wollte, führte sie eine oftmals überraschend gegenläufige Bewegung ein, oder hörte einfach auf zu malen. Dann war das Bild fertig in seinem „beinah“ oder „noch nicht“ . Und war doch alles andere als ein Fragment. Ich fand das sehr erstaunlich.
Angelika Selma Alles schafft in ihrer Malerei schwebende Zustände, in denen Veränderung, Entwicklung möglich ist. Eine Offenheit, die es jedem einzelnen erlaubt, das Bild auf seine Weise weiterzudenken. Sie sagt: „Mir wurde deutlich, welche Präsenz eine einzelne Form einnehmen kann. Das hat mich gleichermaßen fasziniert und erschüttert.“ Erschüttert war sie darüber „wie fundamental und mächtig eine angenommene Wahrheit wirken kann“. Für die Malerin ist das nichts anderes als Manipulation. Sie möchte individuelle Wahrheiten gelten lassen. Und so lässt sich auch der „Rolladen“ auf unterschiedliche Weise deuten. Einmal als wütend heruntergelassenes Schutzschild vor auf dringlichen Blicken. In diesem Fall bleibt der Betrachter ausgesperrt. Der Einblick hinter das Grau, auf das Leben hinter dem Fenster, ist ihm verwehrt. Er muss sich mit Andeutungen begnügen. Davon jedoch gibt es zahlreiche, und so zwingt die Malerin das Augenmerk auf scheinbar Nebensächliches, Zufälliges. Auf all das, was außerhalb des Offensichtlichen ein Bild ausmacht. Auf die gewagte Komposition zum Beispiel, die absichtlich und sehr gekonnt Harmonie untergräbt, damit aber das Sehen von seinen Gewohnheiten befreit und ganz unterschiedliche Wege gehen lässt. So gelangen wir denn plötzlich doch ins Bild und können uns vielleicht sogar vorstellen, nicht außerhalb, sondern innerhalb eines Raumes zu sein, gemütlich am Boden liegend, den Blick unterhalb des Fensters noch oben gerichtet.
Häufig spielt Angelika Selma Alles in ihren Arbeiten mit solchen Auf- oder Untersichten, mit Vogel- oder Froschperspektiven. Auch das heißt, die Dinge von einem anderen Standpunkt aus betrachten. Wie ein roter Faden aber zieht sich durch ihre jüngsten Arbeiten das Motiv des Fensters, der Durchblicke und versperrten Einblicke. Das Fenster als Schnittstelle zwischen innen und außen, zwischen Privatem und Öffentlichen, gerät dabei nicht selten in eine ambivalente Funktion. So rutscht in einem unglaublich berührenden Bild ein feines gelbes Blumenmuster aus einem massiven, dunklen Rahmen. Während das Muster innerhalb des Rahmens leicht, fast fröhlich mit dem hellrosa Untergrund spielt, versumpft es außerhalb in einem schmutzigen Graugrün. Das Private an die Öffentlichkeit gezerrt, verliert seine Eigenart und Struktur. In diesem Sinne sind die Arbeiten von Angelika-Selma Alles auch als Appell zu sehen, die Privatsphäre zu schützen. Vor Eingriffen durch die Politik genauso, wie vor Bloßstellung durch die Medien. Ohne allerdings offensichtliche Kritik zu üben, zeigt die Künstlerin vielmehr die Fragilität, also Angreifbarkeit der privaten Sphäre und damit der persönlichen Integrität. Ausgerechnet das dekorative Element – so lange in der Kunst verpönt – leistet ihr dabei hervorragende Dienste. Schablonen mit Blumenmotiven aus dem Baumarkt oder Pauspapier aus Wohnzeitschriften zur Verschönerung der eigenen vier Wände nutzt Angelika Alles als Metapher für den Innenraum. Mit einer subversiven Freude, so scheint es, kehrt sie die Bedeutung dieser schablonierten Einheitsformen um in ein Bild für Individualität und persönliche Freiheit.
In der Psychologie und durchaus auch in der Kunst gilt das Haus als Metapher für den eigenen Körper. Die Innenräume, demzufolge, sind Sitz von Geist und Seele. Zutritt für Unbefugte verboten. Das Haus von Angelika Alles besteht aus Beton. Ein hartes, undurchdringliches Material, allerdings mit einer sehr zarten, leicht porösen Oberfläche. Bezeichnenderweise hat die Künstlerin dieses Haus in der Größe ihrer eigenen Hand erschaffen. Als könne sie jederzeit diese Hand beschützend über das kleine Objekt legen. Es steht auf einem Rosenmeer. Einem großen, kreisrunden „Teppich“ aus Leinwand, die die Künstlerin eigenhändig, diesmal ohne Schablone, mit Blüten bemalt hat. Dieser „Teppich“ bildet gewissermaßen einen Bannkreis um das Haus. Er lässt sowohl an einen Garten wie auch an Inneneinrichtung denken. Es bleibt ungewiss, ob sich das Innere nach Außen gestülpt hat, oder ein äußerer Freiraum das Haus umgibt.Was wäre den meisten wohl lieber? Angelika Selma Alles überlässt es uns, zu wählen und zeigt zugleich die unterschiedlichen Wahrnehmungsmöglichkeiten auf.
Es ist ein klares Anliegen der Künstlerin, Wahrnehmung zu schärfen. Oder besser noch: einen Sinn dafür zu entwickeln, wie sehr sie täuschen kann. Die Künstlerin berichtet von einem Experiment, bei dem Versuchspersonen nach kurzer Ablenkung markante Veränderungen, etwa an einem zuvor betrachteten Gegenstand, nicht bemerken. Das Auge scannt die Umwelt und nimmt Bekanntes als gegeben hin. Um wirklich zu sehen, brauchen wir Aufmerksamkeit. Die Arbeiten von Angelika Selma Alles sind in der Lage, eine solche Aufmerksamkeit auch für subtile Zusammenhänge zu wecken. Und ich denke, dass dafür weniger formale Mittel – wenngleich bewusst und präzise eingesetzt – verantwortlich sind, als vielmehr die Atmosphäre der Konzentration und Selbstreflexion in der sie enstanden sind. Diese Bilder und Installationen haben die Gabe, die Haltung der Künstlerin zurückzustahlen. Sie sind authentisch.
Ursula Herrndorf, 2008
Ausgehend von der klassischen Tafelmalerei hat sie ihr Malereikonzept so weiterentwickelt, dass sie dieses auf eine höchst sensible und sinnliche Weise in den konkreten Raum einbeziehen kann. Ihr künstlerischer Ansatz reicht soweit, dass sie auf spielerische und zugleich authentische Weise Malerei, Objekte und Installation im Raum verbindet.
Prof. Gabriele Langendorf, im Mai 2008